„Grenzen des Wachstums“ ist gefährlicher Unsinn

In den letzten zwei Podiumsrunden, in denen wir OB-Kandidierende aufgetreten sind, hat der Grünen-Kandidat Christian Viering die These vertreten,. dass es in Mainz in Bezug auf die Bevölkerungsentwicklung „Grenzen des Wachstums“ gebe. Ich möchte voran stellen, dass ich im Folgenden nicht die Person Christian Viering angreifen möchte, sondern mich mit einer Position auseinandersetze, die nicht nur von ihm vertreten wird – und die zu einer fatalen Erzählung werden könnte. Ich möchte zunächst auf den konkreten Kontext (wohin mit zuziehenden Mainzer:innen?) eingehen, danach auf den erweiterten Kontext (Club of Rome).

Viering hat die These von den Grenzen des Wachstums in den Raum gestellt, als es sinngemäß um die Frage ging: „Wie stehen Sie zu einem neuen Mainzer Stadtteil?“ oder „wie reagieren wir auf den Zuzug nach Mainz?“. Seine Antwort hat den Satz beinhaltet: „Es gibt auch in Mainz Grenzen des Wachstums“. Dies soll heissen, dass kein Platz ist, um einen neuen Stadtteil oder auch nur neue Baugebiete auszuweisen. Da Christian Viering die These zwei Mal aufgestellt hat, gehe ich davon aus, dass es sich nicht um einen Ausrutscher, sondern um ein politisches Statement handelt, das die Grundlage seines Handelns als OB definieren soll.

Meines Erachtens ist das Thema zu heiss für Polemik. Deshalb möchte ich ein paar Sätze mehr verlieren, als sonst im Wahlkampf üblich ist. Im Kontext der Bevölkerungsentwicklung in Mainz und ihrer politischen Steuerung kann das Statement nur eins bedeuten: Die Stadt soll keine neuen Baugebiete ausweisen und die Anzahl der Baugenehmigungen für Neubauten reduzieren. Bei Erreichen der Wachstumsgrenze logischerweise auf Null. Was wäre die Konsequenz? Wenn wir davon ausgehen, die Grenzen des Wachstums seien bei beispielsweise 230.000 Einwohner:innen erreicht und die Stadt würde jeden weiteren Zuzug ablehnen, hätte das unter an ansonsten gleichen rechtlichen Bedingungen, wie sie heute gelten, genau eine Konsequenz: Das Wohnen wird noch teurer.

Denn selbst, wenn die Stadt sich weigert auch nur eine Baugenehmigung für neue Wohnungen zu erteilen, kann damit der Zuzug nicht gestoppt werden. Mainz wird dadurch nicht weniger attraktiv. Der Druck auf den Mainzer Wohnungsmarkt bleibt erhalten. Es gäbe gleichbleibend viele Wohnungen (sagen wir für 230.000 Menschen), aber durch Zuzugswillige (sagen wir 5.000 Menschen) kämen neue Bewerber:innen ins Spiel. Die Stadt kann diese Menschen nicht davon abhalten eine Wohnung in Mainz zu mieten. Vermieter:innen würden darauf so reagieren, dass sie die Mieten erhöhen. Wenn die Zuzugswilligen in der Lage sind höhere Mieten zu zahlen als die Einwohner:innen, werden die Wohnungen an Zuzugswillige vermietet. Ohne neue, günstigere Wohnungen bedeutet das für 5.000 Einwohner:innen, dass sie aus Mainz wegziehen müssen. Die These von den Grenzen des Wachstums hat demnach zur Folge, dass es auf einen Verdrängungswettkampf hinausläuft. Der ist zwar bereits jetzt in vollem Gang, aber ein Baustopp würde einen Turboeffekt auslösen. Somit ist die These wohnungspolitisch gefährlich, weil sie die Verdrängung beschleunigt. Ein Handeln nach der These lohnt sich auf der anderen Seite für alle, die in Mainz Grund und Boden besitzen und Wohnraum vermieten. Ist die These also unbedacht oder Klientelpolitik?

Besondere Bedeutung hat das Thema darüber hinaus, weil sich Christian Viering gleichzeitig dafür ausspricht, das Gelände an der Saarstraße, das jenseits des bereits überplanten Hochschulerweiterungsgeländes liegt, für Unternehmen zu erschließen. Das heisst, für gewerbliche Nutzungen gibt es keine Grenzen des Wachstums, sondern die Stadt kann auf dieses Gelände expandieren, das klimatisch und für den Arten- und Bodenschutz herausragend wichtig ist. Ich halte das für eine fatale Weichenstellung – aber leider keine Einzelmeinung des OB-Kandidaten, sondern für die konsequente Weiterführung grüner Kommunalpolitik in Mainz.

Weiterhin: Die These kapert und verfälscht die ursprüngliche These von den Grenzen des Wachstums. Die These ist Teil des Berichts des Club of Rome von 1972. Insbesondere beinhaltet die These, dass bei anhaltendem wirtschaftlichem und Bevölkerungswachstum die (endlichen) Ressourcen der Erde irgendwann erschöpft sind.

„Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht.“ (zitiert nach Wikipedia)

M.E. ist es gefährlich verfälschend, die Hookline des Berichts des Club of Rome („Grenzen des Wachstums“) auf die Frage der Bevölkerungsentwicklung in Mainz zu beziehen, um einen Baustopp zu begründen. Zuzug nach Mainz löst weder eine Zunahme der Weltbevölkerung noch der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung etc aus – sondern lediglich eine Zunahmen der Bevölkerung von Mainz. Wenn überhaupt, ließe sich die These dazu verwenden, die Versiegelung des Gebietes an der Saarstraße zu verhindern, denn dadurch findet eine Zunahme der Umweltverschmutzung durch Versiegelung statt. Aber genau das will Christian Viering nicht. Insofern ist die Übernahme der These Teil einer Aneignung umweltpolitischer Zielsetzungen durch die Grünen, die wir schon länger erleben: Hohle Phrasen, um eine Stammwählerschaft zu erreichen, die bei Inhalten nicht richtig zuhört. Man vertraut darauf, dass der Reflex der Wählerschaft dahin geht, grün zu wählen, auch wenn bei denen Umweltschutz eigentlich keine Rolle (mehr?) spielt. Ich hoffe Christian Vierung überdenkt die These.

(Aber wer sichergehen will, wählt sowieso anders. Grün geht nur links.)