Heute war ich auf einem Podium bei der KSJ in Mainz. Erste Frage der Moderatorin: Über was haben sich die TeilnehmerInnen aufgeregt, über was gefreut?
And the winner was…: Das Statement des Agenda-Kanzlers Schröder auf dem Parteitag der SPD. „Auf in den Kampf, Genossen. Venceremos.“ Mal davon abgesehen, dass Schröders Aussprache nahelegt, dass Wenke Remos die Namensvetterin von Wenke Myhre sein könnte, weiss man nicht, ob man lachen oder weinen soll.
Wieso bezieht sich ein SPD-Grande im Wahlkampf auf das spanische „Venceremos“ („Wir werden siegen“)?
Ich hole mal etwas aus:
Im Kampf um die chilenische Präsidentschaft 1970 war das Lied „Venceremos“ in der Version von Victor Jara sowas wie die Wahlkampfhymne von Allendes Unidad Popular. Das Lied gibts bei YouTube, die Erklärung dazu auf Wikipedia.
Wie die Geschichte gezeigt hat, wurde Allende einer der lupenrein demokratisch gewählten marxistischen Regierungschefs (mit den Stimmen der Christdemokraten) und quasi folgerichtig von einer Junta mit Hilfe der US-Administration unter Präsident Nixon in den Tod geputscht. Sein Programm: Sozialisierung der Schlüsselindustrien, insbesondere Bergbau, Löhne hoch, medizinische Versorgung und Schule für alle, jedem Kind ein paar Schuhe.
Nach dem Putsch haben die Chicago Boys die Geschicke in Chile gelenkt – eine Truppe von Ökonomen, die den Neoliberalismus unter Laborbedingungen testen wollte und wegen physischer Vernichtung und militärischer Unterdrückung der Opposition in Chile auch durfte/konnte. Konsequenz: Noch offensivere private Ausbeutung der reichhaltigen Bodenschätze Chiles, Löhne runter, öffentliche Daseinsvorsorge ade.
Dass nun ausgerechnet der Exekutor von Hartz 4 und allen anderen Agenda-Zumutungen das Lied „Venceremos“ auf dem Schulz-Parteitag der SPD hervorholt, ist entweder überraschend zynisch oder total verblödet. Seine Politik war das Gegenteil von Allende. Genauso wie von Schulz nichts anderes zu erwarten ist.
Aber auch das steht im Kontext: Der Militärputsch in Chile fand in der Amtszeit Brandt statt. Die bundesdeutschen Nachrichtendienste waren anscheinend über die Pläne informiert. Trotzdem wurde nichts unternommen, Allende noch nicht einmal gewarnt.
Und was soll man sagen: Schröder kommt zu seinem „Venceremos“ im direkten Anschluss an den guten Ratschlag des ehemaligen Wehrmachtsoffiziers und SPD-Kanzler-Vorgängers Schmidt, auch mal unpopuläre Entscheidungen durchzuboxen („ich wünsche Dir Tapferkeit“). Das gibt Schröder Martin Schulz mit auf den Weg. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, wenn hier militärische Tugenden zitiert werden?
Egal. Warum ich mich gefreut habe: Das ist nun wirklich zu dick aufgetragen. Selbst dem rückverdummtesten Opfer schröderscher Informationspolitik („zum Regieren brauche ich nur Bild, BamS und Glotze“) müsste nun klar geworden sein, dass alles bleibt wie immer, wenn die SPD (mit) am Ruder ist. Gegen die Alternativlosigkeit neoliberaler Wettbewerbsfähigkeitsargumente hilft nur eins: Links wählen. Danke für die Steilvorlage, Genosse Hartz 4!