Machtverschiebung im Mainzer Rathaus: Was darf der OB eigentlich?

„Darf der das?“ – Neue Fragen nach der kleinen Mainzer Zeitenwende.

Die letzte Oberbürgermeisterwahl hat in Mainz ein mittelgroßes Politbeben ausgelöst. Zwar war die SPD-Fraktion im Stadtrat bereits seit der letzten Kommunalwahl nur noch drittstärkste Kraft, doch es wirkte, als sei das weder der SPD selbst noch der nominell stärkeren Grünen-Fraktion wirklich bewusst. Die einen traten gewohnt selbstsicher auf, die anderen zeigten kaum Gestaltungswillen. Ergebnis: Ampelkoalitionärer Stillstand unter dem Namen Ebling.

Die Karten wurden neu gemischt, als Ebling zur Landesregierung wechselte. Der Wahlerfolg von Nino Haase – parteiloser Quereinsteiger – wurde zur kleinen lokalen Zeitenwende. Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg stellt nicht mehr die SPD den Rathauschef. Für die Ampelkoalition bedeutete das: Sie muss sich gegenüber dem OB politisch positionieren – eine Selbstverständlichkeit, die in Mainz lange keine war.

Rechtlich klar geregelt: Der Stadtrat ist unabhängig vom OB

Der Oberbürgermeister ist Chef der Verwaltung – aber mit einer entscheidenden Ausnahme: dem Stadtrat. Laut § 35 Abs. 5 Satz 2 der Gemeindeordnung (GemO) ist dieser in der Festlegung seiner Beschlüsse frei – also de jure unabhängig vom OB. De facto sieht das anders aus, wenn dominante Fraktionen dem Oberbürgermeister treu ergeben sind und er praktisch „durchregieren“ kann. Doch: Der OB ist an die Beschlüsse des Stadtrats weitgehend gebunden (§ 32 Abs. 1 Satz 2 GemO).

In Mainz war dieses Durchregieren jahrelang der Normalzustand. Nach Haases Amtsantritt mussten die Koalitionsfraktionen offenbar erstmal in die Gemeindeordnung schauen, um ihre Rolle zu verstehen. Während dem alten OB so einiges – inklusive der Einschränkung von Fragerechten der Ortsbeiräte – durchgewunken wurde, will man nun offenbar politische Zähne zeigen.

„Darf der das?“ – Verpackungssteuer und politische Symbolik

Ein Beispiel: Als Haase im Zusammenhang mit einem ÖDP-Antrag zur Prüfung einer Verpackungssteuer ankündigte, das Thema Müllvermeidung in der Verwaltung trotz abgelehntem Stadtratsbeschluss weiter zu bearbeiten, reagierte die FDP-Fraktion empört – mit einem öffentlichkeitswirksamen „Das darf er nicht!“

Doch hier liegt ein Missverständnis vor: Ein ablehnender Stadtratsbeschluss zur Prüfung bedeutet nicht, dass die Verwaltung nicht prüfen darf – sondern lediglich, dass sie nicht muss. Der OB hat keinen Gesetzesbruch begangen, sondern lediglich angekündigt, ein Thema auf Verwaltungsebene weiterzudenken. Er kündigte keine Verpackungssteuer an, sondern eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Müllvermeidung – eine durchaus legitime und politisch wünschenswerte Initiative.

Was darf der Oberbürgermeister wirklich?

Rein rechtlich dürfte der OB sogar noch mehr: Er kann gemäß § 50 Abs. 6 Satz 2 GemO den Beigeordneten Einzelweisungen erteilen, sofern dies für die Einheit der Verwaltung oder den geregelten Ablauf notwendig ist. Dass sich Beigeordnete wie Janina Steinkrüger nach öffentlicher Kritik durch den OB zu einer Entschuldigung genötigt fühlen, zeigt: In der Mainzer Stadtspitze ist ordentlich Spannung – und vielleicht auch eine neue politische Dynamik.

Fazit: Kakophonie statt Gleichklang – ein demokratischer Fortschritt?

Dass Mainz sich nach Jahren symphonischen Unisonos auf politisch kakophonische Zeiten zubewegt, muss kein schlechtes Zeichen sein. Bürgernähe, kritischer Diskurs und Kontrolle der Verwaltung durch ein selbstbewusstes Parlament – das ist in einer funktionierenden Demokratie nicht nur erlaubt, sondern notwendig.

Artikel erschien auch im Sensor Magazin in meiner Kolumne MalcherRECHT